Baustatik Anwenderforum

Kehlriegeldach auf Fachwerkdrempel


Tommy
22.03.2010 20:44
Hallo Fachleute,
Ich brauche mal ganz dringend Eure Hilfe. Mein Haus (Baujahr ca. 1930) hat gerade einen neuen Dachstuhl bekommen, weil sich anläßlich der eigentlich nur geplanten Neueindeckung herausstellte, dass der alte Dachstuhl die neue Deckung nicht tragen kann. Jedenfalls sagte das ein Statiker.
Es handelt sich um ein Kehlriegeldach auf einem 1,70 m hohem Fachwerkdrempel, mit V-Streben an jedem zweitem Gebinde. Sparrenabstände zwischen 1,10 und 1,40 m, Gebäudebreite 7,50 m, Gebäudelänge 15,00 m, Höhe ca. 12,00 m. Das ganze Dg stützen- und wandfrei. Die alten Sparren hatten einen Querschnitt von 12x12cm, die Kehlriegel 6x15cm und der ganze Dachstuhl war abgeschalt und mit Pappe belegt. Mehrlagig.
Jetzt war die Pappe mit Schalung weg und ich wollte einen ,,normalen" Dachaufbau herstellen. Unterspannbahn, Konterlattung, Dachlattung 6x6 und Creaton-Ziegel. Jetzt kam der Statiker und sagte, nach heutigen statischen Erfordernissen reichen die Querschnitte nicht mehr aus usw. und sofort.
Also, Neuerstellung gemäß Bestand! Der Dachstuhl kam runter und wurde in der gleichen Art wieder hergestellt, nur mit größeren Querschnitten.
An der Zimmermannsarbeit an sich gibt es auch nichts zu beanstanden, das Problem ist eher prinzipieller Natur:
Ein befreundeter Zimmermann erklärte mir nun, dass bei einer kompletten Neuerstellung, diese Konstruktionsart nicht zur Anwendung hätte kommen dürfen. Das Kehlriegeldach auf einem so hohen Drempel, ohne jede Stütze oder aussteifende Wand im Dg, läßt sich eigentlich gar nicht ,,rechnen".
Wegen der H-und V-Kräfte am Drempel. da helfen auch die schrägen Stielstreben an jedem zweiten Gebinde nichts. Noch dazu kommt, dass die Drempelpfette, die ja gleichzeitig der Rähm auf den Seitenwänden ist, nicht an das Giebelmauerwerk angeschlossen ist. Es gibt also keinen umlaufenden Ringbalken. Der ganze Giebel wurde mal vor ca. 30 Jahren abgerissen und mehr oder weniger alleinstehend wieder aufgemauert.(Innen Porothon, außen Verblender, kein Fachwerk mehr) Einzige Verbindung besteht über drei Giebelanker auf Kehlriegelebene. Sein Fazit war jedenfalls, dass wenn schon alles neu muss, auch an die Konstruktion als solches, heutige Maßstäbe angesetzt werden müssen und dann nur ein Pfettendachstuhl in Frage käme, oder zumindest quer aussteifende Zusatzmaßnahmen erforderlich sind.
Anmerkung: In der Statik fehlen gänzlich Berechnungen zu den Kräften, die in den Drempel geleitet werden, oder irgendwelche Berechnungen zum Ringbalken oder ähnliches.
So, jetzt bin ich natürlich ganz schön verunsichert! Ich würde mich sehr freuen, wenn Sich jemand die Mühe macht und mir einen fachkundigen Rat gibt. Ich bin zwar auch vom Bau (Metallbaumeister), aber hier ist für mich Ende der Fahnenstange...!

Handwerklichen Gruß
Tommy
moegele
23.03.2010 11:08
Hallo Tommy,

guter Zimmermanns-Freund, fragwürdiger Statiker ;-)
Ich hoffe, daß die Arbeiten nicht bereits ausgeführt wurden. Das liest sich nicht gut.
Bitte unbedingt einen erfahrenen Statiker vor Ort konsultieren.

Stefan Mögele (Statiker)
j.busch
23.03.2010 12:45
Hallo Tommy!
Ich kann mich dem Rat von Stefan Mögele nur anschließen: Nach deiner Schilderung erscheinen die Einwände des befreundeten Zimmermanns sehr berechtigt. Und ohne detaillierte Kenntnisse der Konstruktion (einschließlich Besichtigung) kann man hier keinen fachlichen Rat geben - außer:
erfahrenen Statiker vor Ort hinzuziehen!
J.Busch (Statiker)
Tommy
24.03.2010 08:41
Sehr geehrter Herr Moegele, sehr geehrter Herr Busch,

Vielen Dank, dass Ihr Euch die Mühe gemacht habt ...!

Die Richtung ist eindeutig. Ich werde Euren Rat befolgen und die Statik bzw. die Konstruktion überprüfen lassen. Jetzt bin ich ja nicht mehr
ganz so unbedarft.
Der Dachstuhl steht übrigens schon, was die Sache natürlich insgesamt nicht einfacher macht.

Von dem befreundeten Zimmermann kam schon bei seiner Besichtigung folgender Rettungsvorschlag:
Einbau von Mittelpfetten, 4-fach stehend. Oder falls es Probleme wegen der Einzellasten gibt, möglicherweise Holzständerwände in Holzrahmenbauweise zur Ableitung von vertikalen und horizontalen Lasten mit Überzügen über die Decke von Außenwand zur Mittelwand
des darunter liegenden Geschosses in Verbindung mit den aussteifenden Holzständerwänden.
(Ich hoffe, dass ich das jetzt technisch korrekt wieder gegeben habe?!)

Könntet Ihr das, so aus der Ferne, auch mit einem Kommentar versehen?

Nochmals vielen Dank und wieder mit handwerklichem Gruß.

Tommy
Metallbaumeister & DVS Schweißfachmann


Thomas Geschke
24.03.2010 10:13
Hallo zusammen,

erst mal ein Kommentar zu den "Fachkollegen":
Ich halte es immer mit der Devise: Erst anschauen und danach urteilen!
Ich würde mir niemals ein Urteil über einen Kollegen aus der Ferne erlauben, wo ich den Gegenstand und seinen Auftrag sowie seine Statik nicht kenne. Ihr plant wohl auch wenn einer kommt und sagt:" Überprüft mal, ob meine Sparren die neue Eindeckung aushalten!" gleich den gesamten Dachstuhl einschließlich Anschlussdetails, Decke und Fundamente für ein Stundenhonorar???
Sicher, man sollte immer die Maßnahme ganzheitlich im Blick haben, man muss aber bevor man einen Kollegen in die Pfanne haut und verurteilt alle Rahmenbedingungen kennen.
Zum Fachmann Zimmermann folgender Kommentar:
Ich würde ohne Grund (Schadensbilder etc.) niemals eine Konstruktion, die seit 1930 steht und offensichtlich ohne sichtbare Schäden war als nicht standsicher bezeichnen. Der Zimmermann, der ein Sprengewerk als nicht mehr zulässig ansieht ist nach meiner Meinung sehr sehr fragwürdig.
Das würde ja bedeuten, dass Dachstühle alter Kirchen allesamt nicht mehr zulässig wären (kleiner Tip zum Nachdenken)

Bevor hier noch mehr unnötiger Schaden produziert wird, sollte unbedingt eine ganzheitliche Überprüfung des Gebäudes durch einen Tragwerksplaner erfolgen und wenn nötig weitere Schritte eingeleitet werden.
Einen stehenden Stuhl einzubauen mit den eventuell notwendigen Unterfangungen der Stuhlsäulen erscheint mir als nicht wirtschaftlich, muss aber wie gesagt im Zuge einer ordentlichen Planung beurteit werden.

So nun genug meinerseits
hoffentlich findet der allgemeine Hinweis an den Bauherrn eine ordentliche Planung zu beauftragen offene Ohren, ich habe nämlich das unbestimmte Gefühl, dass hier auf Kosten des Forums die Planung gespart werden soll und am Ende braucht man ja im Schadensfall einen Schuldigen.

Mit freundlichen Grüßen

T. Geschke

moegele
24.03.2010 10:26
Hallo Tommy,

weiterführende Beurteilungen aus der Ferne wären unseriös. Da hilft wirklich nur der Profi-Statiker vor Ort, der alle Lasten konsequent vom Dachstuhl bis zum Fundament verfolgt.

mfG
Stefan Mögele
moegele
24.03.2010 10:47
Sehr geehrter Herr Geschke,

da hat sich meine (wohl zu schnell abgegebene) Antwort auf den letzen Formumsbeitrag von "Tommy" mit Ihrer Stellungnahme überschnitten. Deshalb dieser Nachtrag:

Ich verstehe ihre verbal formulierte Aufregung nicht ganz.
Weder Herr Busch noch ich haben (Zitat:) "einen Kollegen in die Pfanne gehaut". Wir haben lediglich die angefragte Ferndiagnose mit einem Verweis auf weiterführende, fundierte Überprüfungen beantwortet.
Wenn ich den polemischen Teil ihres Beitrags weglasse scheint dies ja auch ihr Gedankengut zu sein. Ich hoffe "Tommy" wird unserem Rat folgen.

Mit "Fachkollegialem" Gruß
Stefan Mögele
Thomas Geschke
24.03.2010 11:36
Sehr geehrter Herr Mögele,

was ich absolut nicht mag, sind Kommentare wie "guter Zimmermanns-Freund, fragwürdiger Statiker ;-)".

Ich hatte auch schon mal das zweifelhafte Erlebnis, dass ein Handwerker dem Bauherrn eingeredet hat,
Stahlbetonbau wäre nicht mehr zeitgemäß, jetzt würden Bodenplatten aus Stahlfaserbeton Stand der Technik sein.
Da steht man dann ganz schön dämlich da und muss sich rechtfertigen.
Hier scheint das ähnlich zu sein: Spengewerke als nicht mehr zulässig??? dafür aber stehende Stühle mit Pfetten.

Richtig ist: Zu dem hier beschriebenen Dach gehört eine ordentliche Planung und keine Mutmaßung
aus der Ferne und so sollte dies auch verstanden sein.

So und nun genug, ich glaube ja auch dass wir das gleiche meinen.
Alles weitere sollte man ohnehin am Stammtisch bei viel Bier besprechen :-)

Mit freundlichen Grüßen

Thomas Geschke
Tommy
24.03.2010 17:26
Ebenfalls hallo zusammen und danke für Euer ,, Kommentar".

Anmerken möchte ich allerdings, daß es mir fern liegt, auf Kosten des Forums irgendwelche Planungskosten zu sparen!

Ich habe im Vorfeld der Dachsanierung mit dem Dachdecker intensiv über die geplante Veränderung diskutiert.
(Komplett anderer Dachaufbau, Ziegel anstatt Pappe usw.)
Der Dachdecker hat mir erklärt, es bedürfe keiner Dachstatik, da sich die Lasten nicht wesentlich verändern würden.
(Verhältmis Schalung und mehrlagige Pappdeckung zu USB, Konterl./Dachl. und Ziegel)

Nach dem Abbruch der alten Deckung/Schalung, habe ich trotzdem einen Statiker beauftragt. (Inkl. eines Baustellenbesuches zur Bestanadsanalyse) Ich hatte zwischenzeitlich versucht selber eine Gegenüberstellung der Lasten vorher/nachher wenigstens überschlägig vorzunehmen. Mich verunsicherte dabei, daß der Dachdecker dies nicht getan hatte. Jedenfalls konnte auf Nachfrage nichts zeigen und sagte stattdessen: ,,Erfahrungsgemäß geht das so.."
Sicherlich hätte ich den Statiker schon früher beauftragen können, wobei das am Ergebnis auch nichts geändert hätte. Dazu kommt, dass eine Dachsanierung wohl eigentlich keine Angelegnheit ist, bei der man noch weitere Fachleute, neben dem Dachdecker (vorausgesetzt der jeweilige Dachdecker ist ein Fachmann), mit einer Planung beauftragt.
Ich denke also nicht, dass hier der typische Fall von ,,Sparen an allen Ecken und bei Problemen nach Schuldigen suchen" vorliegt.

Die Statik hat Geld gekostet und der neue Dachstuhl natürlich auch. Da mußte ich erstmal ganz schön schlucken! (Es sind alleine rund 13 qm³ KVH verbaut worden)
In der jetzigen Situation habe lediglich versucht, mir auf Kosten des Forums einen hilfreichen Rat zu besorgen. Der Bau steht und der Statiker hüllt sich in Schweigen! Ich habe ihn natürlich mit der Thematik konfrontiert, aber bisher keine Stellungnahme erhalten. Dass ich vor der Beauftragung eines weiteren Statikers zuerst auf diesem Wege Infos/Hilfe suche, ist doch auch irgendwie verständlich, oder?!

Soviel zu dem netten Beitrag in der Sache.

Ich weiß zumindest jetzt, dass ich einen neuen Statiker brauche. Habt also Dank für Euren Rat.

Gruß

Tommy
Metallbaumeister & DVS Schweißfachmann

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